Dynafit P49 – die umgekehrte Pintec- Tourenbindung
Bei einem Besuch in Aschheim in der Deutschland-Zentrale von DYNAFIT haben wir kürzlich einen spannenden Bilck auf die nigel-nagel-neue Pintec Bindung Dynafit P49 werfen dürfen.
Vor zwei Wochen machte eine Pressemeldung einen eher versteckten Hinweis, wonach Dynafit als Erfinder der Pinbindung (die mittlerweile 90% des Marktes ausmacht!) einen neuen Coup gelandet hat. Mit der Dynafit P49 dreht sich das Pinsystem um. Was? Wie? Auf nach Aschheim zum enthusiastischen Techniker Paul-Matthieu Fritsch, der wird’s erklären!
Dynafit P49 – alles anders herum!
Das Prinzip der P49 dreht tatsächlich die Pinbindung um. Was ist das größte Problem bei Pinbindungen? Richtig, das manchmal elendige hineinzittern in die Löcher. Bauartbedingt, es ist einfach nicht mehr Platz für ein ordentliches Führungssystem.
Dynafit hatte 2013 mit den zertifizierten Pins und mit Kerben in denselben etwas Abhilfe zum Problem geschaffen. Fritschi ging dem Problem mit einem Anschlag am Vorderbacken bei seiner Vipec 12 an den Kragen und konnte damit durchaus punkten.
Dynafit macht nun den Pin am Schuh, das Loch an der Bindung. Der Schuh des Dynafit P49 Systems basiert dabei auf dem Pierre Gignoux Race 400 (oder Morpho 400) wie schon seit geraumer Zeit beim Carbonio. Die Bindung ist völlig neu konstruiert und wird in Österreich (Vorderbacken) gefertigt. Der zugehörige Ski ist die bewährte DNA- Rennlatte.
Vorab: so easy geht das!
In einem kurzen Video zeigen wir Einstieg in die neue Dynafit P49. Auf Seite 2 geht’s dann ins Detail!
Technisches Hirnschmalz im Vorderbacken
Der erste Test beim Einstieg zeigt sofort: das ist eine dramatische Verbesserung des Einstiegskomforts! Im Vorderbacken der Dynafit P49 ist ein vergleichsweise riesiger „Trichter“, der dem am Schuh montierten – federbelasteten – Pin auch für Grobmotoriker und Stressler eine sensationell große Landefläche bietet.
Die Pins am Schuh sind in einem im Schuh eingegossenen Zylinder verbaut, der eine Feder innenliegend hat. Die Pins können einzeln im Zylinder versenkt werden. Dadurch kann man auch nicht durch hängenbleiben am Pin stolpern, er zieht sich einfach zurück. Übrigens wurden gleich Links- und Rechtsgewinde verbaut, um ein automatisches herausschrauben wie 2014 bei den Pins der Vipec12 zu vermeiden. Beim Einstig klacken die Pins dann in ein jeweils passendes zylindrisches Loch in der Bindung. Mit einem „Druckknopf“ außen an der Bindung wird der Ausstieg bewerkstelligt.
Die Techniker bei Dynafit haben damit aber nicht aufgehört, sondern noch einen draufgelegt. Durch die besondere Bauform können die Pins nun zylindrisch gefertigt werden statt bisher spitzig-konisch. Das bringt eine rein formschlüssige Verbindung ohne dauernden achsialen Druck wie bisher und vermindert dadurch auch die Reibung des Systems. Weniger Kraft, weniger Abnützung.
Wie löst das Ding aus? Im Rennlauf (fast) garnicht, im regulären Betrieb wird auf die Druckknöpfe aussen eine Kappe gesteckt, die die Eingriffstiefe der Pins soweit vermindern, dass im Fall einer Belastung dieselben aus den Löchern rutschen und den Schuh damit freigeben. Durch die waagrechte Platte hinten im Schuh (s.u.) ist das auch seitlich möglich.
Ach ja: das Federsystem kann völlig zerlegt, bei Bedarf repariert oder mit Ersatzteilen bestückt werden.
Hinterbacken bei der Dynafit P49 ebenfalls mit komplett neuem System
Der Hinterbacken hat mit allem bekannten garnichts mehr zu tun. Auch am Schuh: anstatt eines integrierten Keils, der im berühmten Federbügel eingeklemmt wird, ist eine breite Platte im Heck des Schuhs eingegossen, die die bisherige Verriegelungsbreite fast verdoppelt, damit u.U. auch etwas mehr Stabilität in der Abfahrt bieten wird.
Der Backen selbst ist aus Kunststoff gefertigt. Anders als in der Skiindustrie üblich wird aber nicht Polyamid verarbeitet, sondern das für Präzisionsteile im Autobau beliebte Polyoxymethylen POM. Der Backen fungiert als große Feder, der die im Schuh vergossene Platte einklemmt. Um Probleme bei „negativer Durchbiegung“ wie beim Scarpa F1 Evo anno 2015 zu vermeiden, wird der Backen mit Vorspannung (!) von -0,5 mm anstatt mit der bisher üblichen Luft von 3 mm montiert. Die Ein- und ausklappbare Steighilfe hat nur eine Stufe und ist aus Alu gefertigt.
Fakten und Daten
Das Pintec Dynafit P49 System ist – wie jeder eh schon vermutet – rein auf den Rennlauf zugeschnitten und hat die ISMF Zulassung, für den Breitensport ist das System (noch) nicht geeignet. Es wird im Winter 2017/18 in Mini-Stückzahl für Dynafit Athleten zur Verfügung stehen, erst 2018/19 dann in etwas größerer Auflage, immer noch aber limitiert. Preis gibt’s dem entsprechend noch keinen, die Bindung wird bei etwa EUR 600,– liegen. Damit EUR 14,– pro Gramm, also schon fast ein Pablo Escobar Gedenkpreis.
Ein Nebeneffekt der kompletten Überarbeitung ist eine weitere Gewichtsreduktion des Systems. Der Hinterbacken schlägt mit 20 Gramm zu Buche, der Vorderbacken mit 23 Gramm. Mit dem DNA Ski 2018/19, der 695 Gramm wiegt, kommt da ein Luxusproblem auf: bei der Verwendung von Titanschrauben wird das ISMF Gewichtslimit von 750 Gramm für Herren Ski unterschritten! Mit 11 mm Stahlschrauben geht sichs grad und grad aus.
Besonderheiten und Fragezeichen
Ohne Frage die spannendste G’schicht ist, wie sich der Kunststoff-Hinterbacken bei Kälte, Hitze und Brutalo-Eisabfahrten verhält. Die letzte Saison wurde schon fest getestet, und es gab offenbar keine Probleme.
Klar ist, dass der Drehpunkt der Bindung um etwa 15 mm nach vorne gerutscht ist. In der Vergangenheit wurde um jeden Millimeter nach hinten gekämpft, und nun das…schaun ma mal, ob das auch spürbar ist.
Für den Rennlauf unwesentlich bzw. üblich, im Breitensport aber nicht bekannt: der Ausstieg muss mit der Hand bewerkstelligt werden. Die seitlichen Knöpfe am Vorderbacken müssen achsial gedrückt werden, mit einem Skistock geht da nichts.
Ein Schuhrand vorne ist nicht mehr vorhanden. Schon beim TLT7 mit seiner „Speed Nose“ hatte Dynafit darauf gesetzt. Im Fall des P49 passt gibt’s nun ein ganz spezielles Alu-Steigeisen mit ca. 175 Gramm, das mit einem eingegossenen Haken in der Sohle eingehängt wird. Steigeisen mit Körbchen vorne und Automat hinten können natürlich auch verwendet werden.
Der große eingegossene Federzylinder unter den Zehen birgt unserer Meinung nach das Potential, Kälte ins Innere des Schuhs zu leiten. Wird sich aber erst im Praxistest bei tiefen Temperaturen zeigen.
Fazit
Dynafit hat mit der „Pintec 49“, so die offizielle Bezeichnung, ein großes Wagnis eingegangen und versucht seine Technologieführerschaft offensiv anzupreisen. Der erste Blick auf das P49 System sagt: das funktioniert echt!
Dynafit hat aus dem Gewürge beim Auslaufen der Patente der „normalen“ Pinbindungen „System Fritz Barthel“ gelernt und dieses Mal umfassend und international geschützt. Das weist darauf hin, dass die Ankündigung, nach 2019 mit dem neuen System auch groß in den Massenmarkt einzusteigen, sehr ernst gemeint ist.
Fakt ist: das Einsteigen in die neue Dynafit P49 ist unglaublich einfach und hat ein irres Potential! Wir dürfen gespannt sein und gratulieren Dynafit zu Mut und Energie, dieses System auf den Markt zu bringen.