Drum prüfe, wer sich bindet….Bindungs-Neuheiten am Markt

Die Gewinne des Tourenskiverkaufs der letzten Jahre dürften auch die Entwicklungsbudgets aufgefüllt haben. Anders ist es nicht zu erklären, dass heuer so viele neue Bindungen auf den Markt kamen wie nie zuvor. Vor dem Hintergrund des Vormarsches der rahmenlosen Bindung (derzeit im Verkauf wohl schon 6:4 für die rahmenlose Bindung vs. der Rahmenbindung) sind alle interessanten Entwicklungen ohne Rahmen ausgeführt.
Nicht, das wir die Rahmenbindung schlechtreden wollen, im kostengünstigen Setverkauf oder für die „Freerider“ hat sie durchaus ihre Berechtigung. Aber jede Neueinführung bei den Rahmenbindungen ist doch bloß irgendwie die 27. Neuauflage der Tyrolia TRB aus 1982 oder bestenfalls der Fritschi Diamir Titanal aus 1995. Z-Zahlen bis 13 sollen die schweren Dinger als Freeride-tauglich und damit wunderbar passend für die grooooße Gruppe der Freerider darstellen. Dabei zeigen neueste Untersuchungen der Verkaufszahlen, dass die Freerider a) eh nicht neben die Piste fahren bzw. ihre Bindungen praktisch nie entriegeln und b) auch für den Markt nicht besonders aufregend sind, weil  sie weder Felle noch sonstiges Zubehör kaufen. Naja.

Wir hatten Ende Dezember die Gelegenheit, zwei interessante Neuigkeiten auf Herz und Nieren zu prüfen, nämlich:

  • SKITRAB TR2
  • FRITSCHI Vipec

Und als Referenz dazu die „Standardbindungen“

  • ATK Race SL-R World Cup (Standard-Rennbindung rahmenlos)
  • MARKER Tour S12 (Standard Freeridebindung mit Rahmen)

Geprüft haben wir subjektiv und praxisnah das Einsteigen, die Umstellung von Aufstieg auf Abfahrt und die Stabilität im Abfahrtsmodus.

Was uns gleich mal  am neugierigsten gemacht hat, war die Stabilität von Schuh, Bindung und Ski. SKITRAB macht ja gerade damit Werbung, dass die gute Einspannung des Schuhs das rattern der Ski verhindert, weil das wackeln der herkömmlichen Pinbindung wegfällt. OK, die ROLLEI S5 auf den Ski geklebt und nachgeschaut…..das Ergebnis ist durchaus interessant und aufschlussreich:

Hier geht’s zum Stabilitäts-Video auf Youtube

 

1/4 Die Skitrab TR2

580 Gramm pro Bindung inkl. Stopper, Z-Zahl bis 13.
Ein nicht nur auf den ersten Blick recht unkonventionelles System ist mit der SKITRAB TR2 seit heuer am Markt. Während der Vorderbacken zumindest noch vertraut ausschaut, ist die Verriegelung hinten völlig anders aufgebaut. Eine massive breite Metallklammer fixiert den Schuh während der Abfahrt in der Bindung. Die allgemein als große Notwendigkeit angesehene Sicherheitsauslösung wurde so umgesetzt, dass im Vorderbacken eine seitliche dynamische Auslösung durch die Zapferlbacken erfolgt. Diese erfolgt sehr dynamisch und weich. Hinten löst die Bindung mit ihrer federbelasteten Klammer aus wie eine Alpinbindung. Diese grundsätzliche Bauart-Unterscheidung ist gleich auch schon eines der Probleme der TR2: derzeit gibt’s standardmäßig nur den SCARPA Spirit als passenden Schuh, allerdings können Nachrüstesets für praktisch alle Schuhe gekauft werden, Schraubenzieher vorausgesetzt.

Fixieren des Stoppers: dazu muss der Ski in die Hand genommen, der Stopper niedergedrückt und hinten mit einem Metallstift fixiert werden. Eher hahnebüchen und mit ziemlichem Kraftaufwand verbunden.

Der Einstieg zum Aufstieg: erfolgt völlig anders als gewohnt. Nicht von oben nach unten wird eingestiegen, sondern seitlich der Schuh in die Bindung gedreht. Dabei muss die Bindung mit dem Stock aufgehalten werden. Insgesamt im Gelände und auf eisigem Gelände sehr frickelig…der Ski rutscht oft weg oder dreht sich. Die Drehbewegung beim Einsteigen wird man allerdings recht schnell gewohnt, sie ist – entgegen der Erwartung – kein Problem.

Umstellen zur Abfahrt: ohne Auszusteigen kann man problemlos auf Abfahrt umstellen, wenn an die hintere Metallklammer mittels Skistock aufhebt (stark federbelastet, ist auch die Feder, die die Auslösung bei der Abfahrt gewährleistet!) den Schuh in die Bindung stellt und die Feder auf den Schuh niederlässt. Den Stopper löst man dann mit dem Skistock aus, er ist dann in Betriebsposition.

Abfahrtsperformance: Super. Der Schuh bewegt sich durch die breite und starke Metallklammer hinten in der Bindung praktisch garnicht, ein sehr präzises Fahrgefühl ohne Tendenz zum rattern. Die hohe Position am Ski fühlt sich ebenfalls gut an im Vergleich zu Standard-Low-Tech-Bindungen.

Umstellen zum Aufstieg: theoretisch sehr einfach, indem wieder die hintere Metallklammer gehoben wird, Schuh ausgefädelt und Klammer nieder. So könnte man auch nach kurzen Fell-Angst-Abfahrten schnell wieder auf Aufstieg umstellen. Ausser, wenn man den Stopper gelöst hat…dann heißt es raus aus der Bindung, Ski aufheben und händisch den Stopper wieder einrasten.

Aussteigen: durch die Bauart kann nicht wie üblich vorne die Bindung geöffnet hinten einfach ausgeklinkt werden, sondern man muss zuerst hinten aussteigen (mit Stock auf die federbelastete Metallklammer, sieh oben) und dann den Vorgang vorne wiederholen. Definitiv eine Verdoppelung des Aufwandes.

Besonderheiten:

  • Sehr stabile und trotzdem leichte Sicherheitsbindung mit hervorragender Abfahrtsperformance…da wackelt nichts.
  • Ein Nachteil ist die ungewöhnliche Handhabung, die man aber sicher gewohnt wird.
  • Größter Nachteil derzeit sicher: nur ein Schuh ist im Handel, der reinpasst. Es gibt zwar auch einen „Selbstbausatz“ um andere Schuhe umzubauen, ob das auch funktioniert, haben wir nicht testen können.

Hier noch ein Link zu einem etwas detaillierteren Bericht

 

2/4 Die FRITSCHI Vipec

545 Gramm pro Bindung inkl. Stopper, Z-Zahl bis 12
Sieht vertraut aus, und ist das auch von der Funktionsweise. Vorne eine normale Zapferlmechanik, hinten die gewohnten 2 Metallstifte. Im Detail jedoch High Tech. Auch FRITSCHI hat sich auf die Sicherheits-Auslösung konzentriert und  realisiert diese vorne mit einem seitlich beweglichen Schlitten, der dann die Zapferl wegklappen lässt, insgesamt recht tolerant bei der Auslösung. Hinten ist die Auslösung einerseits durch die gewohnte Gewaltaktion bei den Low-Tech-Stiften möglich, andererseits aber erstmals auch durch die Rückwärtsbewegung des gesamten Hinterbackens. In die Vipec passt jeder Schuh in normaler Low-Tech- Ausstattung. Die Einstellung ist einfach, nur der Hinterbacken ist an den Schuh auf Null heranzustellen, fertig.

Fixieren des Stoppers: kann durch niedertreten des Stoppers mit dem Schuh und hinunterdrücken des schwarzen Hebels hinten ohne bücken erfolgen – praktisch und flott.

Der Einstieg zum Aufstieg: erfolgt wie gewohnt von oben nach unten. Allerdings ergibt sich in der Praxis ein Problem, das an die ersten Jahre der Low-Tech Bindungen erinnert: nicht jeder Versuch endet mit einem erfolgreichen Einstieg. Die Zapfen vorne sind so hoch montiert, dass man bei schrägem Einstieg im Gelände gerne mal mit dem gesamten Sohlenrand unter dieselben gelangt. Ein Geduldsspiel, das man aber nach einigen Malen in den Griff bekommt.

Umstellen zur Abfahrt: ohne Auszusteigen locker zu bewerkstelligen. Durch den schwarzen Hebel hinten wird der gesamte Hinterbacken ca. 3 cm nach vorne geschoben und man kann dann wie gewohnt mit einem Ruck in die Stifte einrasten, wie gewohnt mittig am Schuh.

Abfahrtsperformance: Gut. Hohe Position am Ski, ansonsten aber kein merkbarer Unterschied zu Standard-Low-Tech-Bindungen.

Umstellen zum Aufstieg: Super einfach. Inklusive des Fixierens des Stoppers ohne bücken und locker mit dem Stock zu erledigen. Ideal für die „normale“ alpinen Skitour, wo zwischendurch auch mal mit den Fellen abgefahren werden muss oder bei der Abfahrt auf langen Ebenen auch mal die Bindung als Marscherleichterung hinten geöffnet wird.

Aussteigen: Wie gewohnt mit Skistockdruck auf den Auslösehebel vor dem Skischuh.

Besonderheiten:

  • Umstellen von Aufstieg auf Abfahrt und retour ohne vorne aus den Pins zu gehen. Und das inkl. Skistopper!
  • Beim Test der angepriesenen Auslösung nach vorne bei offener Bindung hätten wir fast einen DYNAFIT TLT5 zerstört. Die Auslösung funktioniert nämlich eigentlich prima, nur je nach Skischuhmodell muss ein Adapter auf den Vorderbacken fix montiert werden.
  • Sehr super für Modefreaks: mit farbigen Inlays lässt sich die Bindung auf Skischuh, Anorak oder auch Unterhose abstimmen.
  • Nachteil bei der Fahrperformance ist das bekannte Low-Tech-Problem: Spiel und Toleranzen summieren sich auf, eine seitliche Kippbewegung im Bereich mehrerer Millimeter ist Standard.
  • Insgesamt eine überraschend leichte und vielseitige Bindung.

Auch hier der Link zu einem Bericht mit Details

 

3/4 Referenz: die ATK Race SL-R World Cup (2013er Modell)

117 Gramm pro Bindung (+60 Gramm für Universalstopper), Auslösung ohne Z-Zahl
Ein feines Stück italienischer Handwerkskunst. Leicht, präzise und schön. Eine klassische rahmenlose Leichtbindung, die in der Handhabung ausgesprochen angenehm ist. Hier passt und sitzt alles. Im Anstieg und auch bei den Wechseln ein Traum ohne Kritikpunkt.

Im Praxistest haben wir die ATK-Bindung vor allem als Referenz für die Fixierung des Schuhs auf dem Ski herangezogen. Und siehe da, das Ergebnis war  – wohl wie bei allen anderen Standard-Low-tech-Bindungen – erschreckend. Durch die eigentlich nur an drei Punkten vorhandene Fixierung des Schuhs (2 Zapferl vorne und mittig hinten) und des bauartüblichen wackeligen Eingriffs der rückwärtigen Stifte in den Schuh ergibt sich eine Bewegung des Schuhs von ca. 5 mm auf Schafthöhe.

Traurige Bestätigung eines bekannten Makels der 2013er Bindung : nach rund 1.000 Höhenmetern ist die kleine Steighilfe gebrochen. Das anfällige Blechplättchen ist aber für das 2014er Modell durch ein geschmiedetes Teil ersetzt worden, der Bruch sollte also nicht mehr auftreten.

 

4/4 Referenz: die MARKER Tour F12

1.040 Gramm pro Bindung inkl. Stopper, Z-Zahl bis 12
Eine Rahmenbindung für Freerider. Der Komfort der Rahmenbindungen liegt auf der Hand: einfaches Einsteigen, das Handling ist auch für Neulinge super einfach.

Der Praxistest war hier wiederum die Fixierung des Schuhs auf dem Ski. Die Überraschung: die Erwartung sagte uns, dass klarerweise eine gute Fixierung da sein müsste…mitnichten. Die Bewegung des Schuhs in der Bindung mag vielleicht nicht so heftig sein wie bei einer Standard-Low-Tech-Bindung, jedenfalls aber dennoch deutlich sichtbar. Warum das so ist konnten wir nicht erklären, vermutlich hat aber die Rahmenkonstruktion durch die Verbindung des beweglichen Teils auf dem Hinterbacken nochmal eine Schwachstelle, die sich aufsummiert. An die Stabilität der SKITRAB TR2 kam die MARKER bei weitem nicht heran.

 

Fazit:

„Die perfekte Tourenbindung“ gibt’s noch immer nicht. Schade. Es ist aber als Zwischenstufe zwischen Leicht-Pinbindung und Rahmenbindung nun noch eine Klasse am Markt aufgetaucht, die „Komfort-Pinbindungen mit Sicherheitsauslösung“. Während die SKITRAB TR2 zwar beim Komfort nur bedingt punkten kann und hauptsächlich durch ihre ungeahnte Stabilität in der Abfahrt begeistert, kann die FRITSCHI Vipec vor allem mit der von anderen Pinbindungen vertrauten Universalität zählen. Der Halt des Schuhs in der Bindung ist allerdings ebenso vertraut wackelig wie bei anderen Pinbindungen.

Wer Wert auf Gewicht und Einfachheit legt, der ist immer noch mit Leichtbindungen von SKITRAB und anderen Herstellern gut beraten. Das Gewicht liegt im Verhältnis 1 : 4 : 10 (Leicht-Pinbindung : Pinbindung mit Sicherheitsauslösung : Rahmenbindung).  Wem das 4-fache Gewicht kein Dorn im Auge ist, der kann jedoch jetzt endlich auf Pin-Sicherheitsbindungen zugreifen. Und zwar welche die der TÜV (fast) auch anerkennt: zur ISPO sollen sowohl die FRITSCHI Vipec als auch eine Neuerscheinung einer anderen bekannten Firma mit einem Löwenkopflogo die Zertifizierung vorweisen können.

Es bleibt also vor allem beim Gewicht immer noch eine weite Lücke zwischen den Leichtbindungen und den Sicherheitsbindungen. Die Stabilität ist allerdings offenbar bauartbedingt und hat nichts mit dem Gewicht einer Bindung zu tun.

Nachtrag 9.1.2014: auf den verständlichen Wunsch eines Bindungsherstellers dürfen wir nochmals darauf hinweisen, dass unser Test subjektiv ist und keine normative oder technische Aussage treffen will. Es handelt sich um einen individuellen Vergleich von Tourenbindungen, der selbstverständlich in alle Richtungen erweitert werden kann.

 

Bilder: David Schäffler
Text: Karl Posch

Top News

jaqueline brandl und christian hoffmann bild karl posch skimo austria 1. April 2024

Brandl und Hoffmann gewinnen European SKIMO Tour 2024

Mit der Sellaronda am 23.3.2024 gab es für heuer die letzte Gelegenheit, für ... Mehr erfahren
20. März 2024

ISMF Jugendweltcup-Saison endete mit einem aufregenden Finale in Molde (NOR)

Während der Schnee einer weiteren aufregenden Saison des Skibergsteigens ... Mehr erfahren