Brandaktuell: Sicherheitsbindungen mit Pins kommen auf den Markt!

Der Bindungsmarkt bei Tourenskiern ist im Umbruch. Das weiß man, klar. Dass nun schon weit über 50% der verkauften Bindungen auf der 1983er Hirnidee des genialen Fritz Barthel beruhen, ist Fakt. Dass diese „Zapferlbindungen“ keine Sicherheit bieten und gefährlicher Metallschrott sind, wurde uns ebenfalls lange vermittelt.

Nun tauchen aber die ersten Pin-Bindungen mit Normprüfungen auf, und in der allgemeinen Unsicherheit haben wir uns zusammen mit den Kollegen von Freizeitalpin erkundigt, wie denn das jetzt so ist mit den Sicherheitsbindungen. Und wer käme da besser in Frage als der Taufpate der Pinbindung, DYNAFIT. Im modernst ausgestatteten Test- und Prototypenlabor in Aschheim bei München erklärte und zeigte uns Entwickler Matthieu Fritsch alles rund um die neuesten Entwicklungen.

 

Normen- Grundlagen:

ISO 13992:2007 (die „Big Mama“ der Tourenski-Bindungsnormen) regelt in vielen Einzelkomponenten und Varianten vor allem die Auslösung in drei Achsen. Dabei zur Anwendung kommen nicht nur die statische Auslösung, sondern auch dynamische Komponenten.

ISO 9465:2013 regelt die Stoßbelastung bei Tourenski-Bindungen, also die Absoption von Energie bis zur Auslösung. Auch hier gibt’s einen statischen aber auch einen dynamischen Pendelschlag-Test.

ISO 11087:2006 regelt die Funktionsweise der Skistopper im Originalzustand und nach Schlagbelastungen auf die Fangeinrichtung.

 

Grundsätzliche Schwierigkeiten bei Pinbindungen

Viele Jahre hat sich niemand ernsthaft mit der Normprüfung von Pinbindungen beschäftigt, der Fokus lag einfach wo anders. Niedriges Gewicht und perfekte Funktion standen im Vordergrund, die Sicherheit war brutal aber einfach dadurch gegeben, dass vor dem menschlichen Bein sowieso die Skier brachen oder die Schrauben ausrissen. Seit einigen Jahren nun gibt’s aber auch breitere und stabilere Ski und den dazu passenden aggressiveren Freeride-Stil. Und der Ruf nach Sicherheitsbindungen wurde laut. Mangels einer technischen Definition von Pin-Bindungen (die fehlt bis heute!) näherte man sich den o.a. Normen mit den bestehenden Bindungen an. Basics wie die Einstellbarkeit des Z-Wertes mussten da erst einmal „zurückentwickelt“ werden. Die „Radical 1“ von DYNAFIT war die erste Bindung, die den Tests der Normen unterworfen wurde. Im Laufe der Tests errang man (trotz letztlich nicht erreichter Zertifizierung) viele Erkenntnisse. So. z.B. dass die Inserts in den Schuhen eine der wichtigsten Komponenten sind. Deshalb ging man auch 2013 zu Werks-Zertifizierungen für Marken über (derzeit neben DYNAFIT auch SCARPA und FISCHER), mit deren Produkten die Funktion und Normensicherheit garantiert werden kann. Als Nebeneffekt können die Schuhe aller zertifizierten Hersteller nun auch für die Normprüfungen verwendet werden.
Detailprobleme der hinteren Verriegelung –sie wirkt wie ein einzelner Punkt und ist damit in Verbindung mit den modernen, biegsamen Schuhen instabil – und mangelnde Stoßtoleranz beim Vorderbacken kamen zum Vorschein. Auch der übliche 3 mm Abstand zwischen Schuh und Hinterbacken erwies sich als problematisch, da nicht definierbar.

 

Der Weg zur geprüften Pinbindung

Parallel zur Zertifizierung der Inserts ging man bei DYNAFIT gezielt in Richtung einer geprüften Bindung. Die „Beast16“ wurde nach allen Regeln der Kunst so gebaut, dass die Prüfungen locker zu erreichen sein sollten, Detailprobleme anhand von Studien gelöst. Beispielhaft die unkontrollierte Auslösung bei unverriegelter Bindung auf der Abfahrt: durch die ausschließliche Klappbewegung der Pins sind herkömmliche Bindungen sehr unelastisch auf Stoß. Deshalb wurde die „Beast16“ zusätzlich auf einer drehbaren Basis aufgesetzt, um Bewegungen abfedern zu können. Auch der Abstand zwischen Schuh und Hinterbacken wurde wegentwickelt durch gefederte Elemente. Insgesamt wurde aus der Bindung nicht nur ein Schmuckstück für Freerider, sondern auch die erste Pinbindung in klassischer Manier, die Anfang September 2014 anstandslos durch die Normprüfung gekommen ist.
Übrigens: der vieldiskutierte Hilfsbügel, den man bei der „Beast16“ an den Schuh montieren muss, hat nichts mit der Sicherheitsfunktion zu tun. Vielmehr wäre es bei einer Z-Zahl von 16 nicht möglich, die erforderlichen 220 kg Einstiegskraft aufzubringen. Der Bügel bewegt daher den Hinterbacken nach hinten, um das Einsteigen zu ermöglichen.

Nach der schweren Geburt einer geprüften Sicherheitsbindung ist es logisch, dass der Schritt nach vorne bei Sicherheitsbindungen bei DYNAFIT nun schon programmiert ist: aus dem Know How mit der 940 Gramm schweren „Beast16“ entstand die „Beast14“ mit immerhin nur noch 795 Gramm und die neue „TLTRadical2.0“ (FT Z 5 – 12 und ST Z 4 – 10)hat mit praktisch gleicher Technologie aber nur 599 Gramm das Zeug zum Rahmenbindungskiller.
Zum Vergleich: die zeitgleich mit der „Beast16“ erschienene MARKER „Kingpin“ (ebenfalls nach ISO 13992:2007 geprüft) wiegt 730 Gramm.

Was uns echt überrascht hat: DYNAFIT stellt die Erkenntnisse allen Schuh- und Bindungsherstellern zur Verfügung, trotzdem gibt es bislang nur MARKER mit seiner Kingpin, der ebenfalls die Normprüfungen durchführt. Grund dafür mögen die hohen Testkosten durch viele Einzelprüfungen, Unmengen an getestetem Material und nicht zuletzt die vielen Arbeitsstunden sein, die sich kleine Hersteller nicht leisten können. In dem Zusammenhang muss man eins generell sagen: eine Bindung in einem Testlabor zu sein, ist wohl das letzte, was man sich wünscht. Bis zum Bruch werden die Teile unendlich lange gequält und malträtiert. Unglaublich, was hier alles getestet wird.

 

Was ist nun eine Touren-Sicherheitsbindung?

Also abgesehen davon, dass es diesen Begriff auch in der Norm nicht gibt, sind simple charakteristische technische Eigenschaften definiert, die eine solche Norm-Bindung kennzeichnen würden:

  • Auslösung in drei Achsen (nach vorne, seitlich und nach oben) zu jedem Zeitpunkt möglich
  • Daraus folgend: keine automatische oder halbautomatische Verriegelung des Vorderbackens, manuelle Verriegelung kann jedoch erfolgen (für Querungen, Steilrinnen etc.)
  • Einstellbare Z-Werte
  • Zertifizierung nach ISO 13992:2007
  • Ein Stopper ist ein Zusatzfeature und keine Grundbedingung für eine Sicherheitsbindung.

 

Rennbindung vs. Sicherheitsbindung?

Wenn man das o.a. nun liest könnte man zur Ansicht gelangen, dass dies alles für Rennbindungen mit Gewichtsminimierung nicht zutreffen kann. Die erforderliche Technik kann man nicht in eine 100 Gramm Bindung packen.
Das Ende für leichte Bindungen? Oder der Anfang einer Parallelentwicklung?
In der Tat sind Prüfungen an reinen Rennbindungen kaum durchzuführen oder im Sinne der ISO 13992:2007 positiv zu bestehen. Hier könnte eine absehbare Neuauflage der Norm Veränderung bringen; oder aber die bestehende Praxis wird sich festigen: nämlich dass Rennbindungen Elemente aus dem Sicherheitsbindungsbau übernehmen (siehe den drehbaren Vorderbacken als Dämpfungselement bei der DYNAFIT „RC1“) und die alten Argumente (…a ski breaks faster than the athlete’s leg…) eben noch weiterleben.
In der Praxis würden sich bei Rennbindungen sowieso noch spezielle Probleme ergeben, z.B beim Bremsentest nach ISO 11087:2006: der dort verwendete „Normski“ hat ca. 3,3 kg mit Bindung….da müsste man 4 Rennski aufeinanderlegen.
Wir glauben, dass sich hier nach den nun vorhandenen Sicherheits-Erfahrungen im Labor ein noch intensiverer  Erfahrungsaustausch zwischen Spitzen- und Breitensport anbahnt. Wissen aus dem Leichtbau wandert zum  Breitensport, Sicherheitstechnik zum Rennsport. Es dürfte aus heutiger Sicht aber klar sein, dass eine Rennbindung niemals die Sicherheitsfeatures des Breitensports haben wird. Aber immer mehr Breitensportbindungen werden als Sicherheitsbindungen verkauft werden.

 

Was heißt das für die Rennen? Was sagt die ISMF?

Das Reglement der ISMF (International Ski Mountaineering Federation) regelt die Bindungen zwar, jedoch ohne große Einschränkungen. Des Weiteren nimmt sie keinen Bezug auf den Terminus „Sicherheitsbindung“. Das Ziel ist es im Rennsport, bei größtmöglicher Sicherheit die bestmögliche Leistung zu bringen. Die Definition sieht im Wortlaut so aus:

  • Der Hinterbacken muss seitlich und frontal auslösen
  • Der Vorderbacken muss ein Auslösesystem besitzen, das die Seitenauslösung des Schuhs aus dem Hinterbacken erlaubt.
  • Der Vorderbacken muss eine ungesperrte und gesperrte Position haben
  • Schuh und Bindung müssen gemäß den Betriebsanweisungen des Herstellers montiert sein, um ein optimales funktionieren des Auslösesystems zu garantieren und gleichzeitig Ski und Bindungen zu schützen.
  • Vorder- und Hinterbacken müssen vom selben Hersteller sein.
  • Eine Modifikation ist nicht erlaubt.

In einem Telefonat mit dem technischen Leiter der ISMF, dem Franzosen Alexandre Pellicier, haben wir das Thema intensiv besprochen und auch über zukünftige Entwicklungen geredet. Pellicier, selbst ehemaliger Top-Rennläufer sagt:

„Obwohl der Rennlauf völlig verschieden ist vom Breitensport und auch andere Ausrüstung erfordert, ist es natürlich auch das Ziel der ISMF, für die Athleten die höchste Sicherheit zu gewährleisten. Wir arbeiten sehr eng mit der Industrie zusammen und sind daher immer sehr früh über Entwicklungen der Branche informiert. Obwohl sich jetzt gerade in diesem Bereich große Möglichkeiten ergeben, wird es in den nächsten Jahren keine normierten Sicherheitsbindungen im Rennlauf geben. Für die fernere Zukunft ist dieser Schritt jedoch logisch, weil die Sicherheitsfeatures immer leichter und leichter werden.“

 

Danke an Mathieu Fritsch von DYNAFIT für die überaus interessanten Einblicke. Wahnsinn, was da in Aschheim alles gebaut und getestet wird (alles dürfen wir nicht sagen), alleine der Prototypenbau ist sehenswert.

Die Seite des Handels beleuchten in diesem Zusammenhang unsere Kollegen bei Freizeitalpin. Pin-Sicherheitsbindungen werden definitiv auch dort die laufende Entwicklung beeinflussen. Ein Bericht von David Schäffler folgt in einigen Tagen.

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